Lohberger Ostern

Feste sind häufig Meilensteine des Lebenswegs. Tastet man sich an ihnen entlang in die Vergangenheit, dann werden Umstände und Bedingungen deutlich, die sowohl Einfluß auf individuelle Schicksale hatten als auch auf Situation, Lebensgefühl und Entwicklung eines Gemeinwesens. Das gilt in besonderem Maße für Ausprägung und Erleben des Osterfestes in der Geschichte der Bergarbeiterkolonie Lohberg.

 

Zum Thema „Ostern in der Geschichte Lohbergs“ fiel mir zunächst nur Positives ein: Die Lohberger Christen feierten zu Ostern das Fest der Auferstehung und der Hoffnung. In die österliche Zeit fielen große Familienfeste. Das waren für die Protestanten die Konfirmationsfeiern, die meist am Palmsonntag stattfanden, für die Katholiken die Feiern zur Erstkommunion am Weißen Sonntag. Über familiäre, freundschaftliche und nachbarschaftliche Beziehungen war auch der nichtchristliche Teil der Bevölkerung in die Feste einbezogen. An den Ostertagen selbst genossen alle Familien die arbeitsfreie Zeit, das Festessen, zu dem häufig die „Stallhasen“ geschlachtet wurden, die Ostereiersuche mit den Kindern in Haus und Garten, im Fischerbusch oder im Wald auf dem Oberlohberg.

 

Eine genauere Betrachtung einiger österlicher Meilensteine zeigt jedoch, daß die Bedingungen, unter denen Ostern gefeiert wurde, oft äußerst bedrückend waren und kaum Anlaß zu Freude und Hoffnung gaben:

 

Ostern 1916

 

Mit diesem Osterfest waren für die Lohberger sowohl Freude als auch Leid verbunden. Zum einen wurde der katholische Lohberger Seelsorgebezirk eigene Kirchengemeinde (zunächst Rektoratsgemeinde). In Lohberg selbst, und zwar in der Lohnhalle der Zeche, wurde zum ersten Mal ein katholischer Gottesdienst gefeiert. Am Weißen Sonntag fand die erste Kinderkommunion in Lohberg statt. Unter großer Beteiligung der Bevölkerung nahmen 104 Erstkommunionkinder daran teil.

 

Zum anderen befand man sich mitten im Ersten Weltkrieg. Einige Lohberger hatten bereits auf den Schlachtfeldern den Tod gefunden oder waren schwer verletzt worden.

 

Ostern 1920

 

In die Osterzeit fällt eines der traurigsten Kapitel der Lohberger Geschichte. Im Verlauf der Märzunruhen von 1920 war Lohberg zum Ausgangspunkt bitterster Kämpfe zwischen Reichswehr und der Roten Armee geworden. Viele Lohberger hatten sich den Rotgardisten angeschlossen, weil sie sich vom Kommunismus eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen erhofften. Tagelang lag Lohberg unter schwerem Beschuß, weil sich im Ledigenheim das Hauptquartier der Roten Armee befand. In der Nacht vom 22. auf den 23. März 1920 wurde der Direktor der Zeche Lohberg von Rotgardisten, die allerdings nicht aus Lohberg stammten, auf bestialische Weise ermordet. Am Karfreitag, dem 2. April 1920, rückte die Reichswehr in Lohberg ein.

 

Noch kurz vor dem Einmarsch wurde von einer einschlagenden Granate auf der Grabenstraße ein junges Brautpaar getötet. Über Jahrzehnte wurde in der Kolonie kolportiert, es habe sich um die letzte Granate gehandelt und die Braut sei getroffen worden, als sie gerade an ihrem Brautkleid nähte.

 

Reichswehr und Sicherheitspolizei nahmen blutige Rache an der Lohberger Bevölkerung. Wahllos wurden Männer aus den Häusern geholt und in einem Wäldchen an der Ziegelstraße standrechtlich erschossen oder erschlagen. Die genaue Zahl wurde nie ermittelt. Die Schulchronik der Marienschule nennt fünf Namen. In anderen Quellen ist von 7 und sogar 32 Hingerichteten die Rede. Nicht minder grausam ging die Reichswehr gegen Lohberger Mädchen vor, die für die Rote Armee Kartoffeln geschält und Hilfsdienste als Krankenpflegerinnen geleistet hatten. Sie wurden in einem Wäldchen am Rutenwall in Dinslaken erschossen. Auch hier ist die genaue Zahl der Getöteten nicht bekannt. Über beide Lohberger Schulchroniken sind drei Mädchen namentlich nachweisbar, über eine andere Quelle außerdem eine Hambornerin. Die Zahl der als Kämpfer in der Roten Armee gefallenen Lohberger wurde ebenfalls nie festgestellt. Der damalige evangelische Pfarrer Schmidt berichtet, daß man in der Kolonie von über 80 Toten und Vermißten sprach.

 

Zum Osterfest 1920 herrschten in der Kolonie große Trauer über die unzähligen Todesopfer sowie Entsetzen und Empörung über das Vorgehen der Reichswehr. Osterfreude kam selbst beim nichtkommunistischen Teil der Bevölkerung nicht auf.

 

Ostern 1932

 

In den Lohberger Haushalten herrschte bitterste Not. Ein Drittel der ehemaligen Belegschaft der Zeche war arbeitslos. Die Kirchengemeinden versuchten, mit Kleider- und Nahrungsmittelspenden, Suppenküchen und Vermittlung von Freitischen das größte Elend zu lindern. Kommunionkinder aus den Familien der Arbeitslosen erhielten von den katholischen Gemeindeschwestern für die Erstkommunion am Weißen Sonntag Kleidungsstücke. Pfarrer Nienhaus vermittelte für diese Kinder Patenschaften in Familien von Beamten, deren Kinder zur Erstkommunion gingen. Das war zwar gut gemeint, aber für die Arbeiterkinder mit eher schmerzlichen Erfahrungen verbunden, wenn sie zusehen mußten, wie die Beamtenkinder von Gästen beschenkt wurden.

 

Ostern 1935 und 1936

 

Auch im vormals kommunistischen Lohberg hatten die Nationalsozialisten Anhänger gewonnen. Zur Konfirmation am Palmsonntag 1935 trugen fast alle Konfirmanden HJ- und BDM-Kleidung. 1936 hatte die Attraktivität bereits nachgelassen. Das Konfirmationsbild zeigt die Mädchen in den traditionellen schwarzen Kleidern, die Jungen in dunklen Anzügen. So blieb es auch in den folgenden Jahren.

 

Ostern 1945

 

1945 erlebten die Lohberger die schlimmsten und traurigsten Ostertage ihrer Geschichte. Nach dem Bombenangriff vom 22.1.1945, bei dem es bereits 85 Todesopfer gegeben hatte, wurde Lohberg am 23.3.1945 wieder bombardiert. Den ganzen Tag über flogen Bomberverbände in mehreren Wellen und kurzen Abständen heran und belegten Dinslaken und Lohberg mit Bombenteppichen. Nach der Zerstörung der Ortschaften durch das Bombardement setzte Artilleriebeschuß ein, der während der ganzen Nacht anhielt. Verletzte und Tote konnten kaum geborgen werden. Viele Leichen wurden erst nach Ostern ausgegraben, als bereits Verwesungsgeruch die Straßen durchzog.

 

Am Palmsonntag, dem 25.3.1945, rückten die Amerikaner in Lohberg ein. Die Kolonie war zu diesem Zeitpunkt, wie Pfarrer Nienhaus es ausdrückt, „ein großer Trümmerhaufen“. Etwa 10% der Häuser waren vollständig zerstört, viele andere schwerstens beschädigt, kaum eine Wohnung war unversehrt geblieben. Das evangelische Gemeindezentrum mit Notkirche und Kindergarten war durch eine Luftmine dem Erdboden gleichgemacht, die katholische Kirche stark beschädigt worden. An beiden Schulen gab es große Zerstörungen.

 

Schlimmer als alle materiellen Schäden traf die Koloniebewohner der Tod von vielen engsten Familienangehörigen, von Verwandten, Freunden, Nachbarn und Bekannten. Insgesamt 171 Personen, darunter 51 Kinder, hatten bei den beiden Bombenangriffen und durch Granaten ihr Leben verloren. „Viel Blut und Tränen waren“ - so Pfarrer Nienhaus - „in Lohberg vergossen, Mut und Gottvertrauen gefordert zu einem neuen Anfang aus dem seelischen und materiellen Elend, das ein sinnloser Krieg verschuldet hatte.“

 

Bereits am Ostersonntag, dem 1. April 1945, wurde in der katholischen Kirche wieder Gottesdienst gehalten, nachdem kanadische Soldaten und Lohberger Bergleute notdürftig die Trümmer aus dem Innenraum beseitigt hatten.

 

Der evangelischen Kirchengemeinde diente nach der Zerstörung ihres Gemeindezentrums bis zur Einweihung der Lutherkirche am 12.12.1954 der frühere NSV-Kindergarten als Kirche.

 

Ostern 1947

 

Wie überall im Ruhrgebiet herrschte auch in Lohberg große Hungersnot. An Osterfreude war kaum zu denken. Pfarrer Nienhaus berichtet von Carepaketen aus Amerika und von „Papstspenden“, die die katholische Kirchengemeinde im April 1947 erreichten und im Marienheim zur Verteilung gelangten.

 

Ostern 1955

 

Zehn Jahre nach der Zerstörung ihres Gemeindezentrums in der Osterzeit 1945 konnte die evangelische Kirchengemeinde das Osterfest zum ersten Mal in einer eigenen Kirche feiern.

 

In Lohberg herrschte Vollbeschäftigung. Noch schrie die boomende Industrie nach dem Primärenergieträger Steinkohle. In zunehmendem Maße wurden ausländische Arbeitskräfte auf der Zeche angelegt. In die Lohberger Haushalte zog bei steigenden Löhnen und sinkenden Lebenshaltungskosten bescheidener Wohlstand ein. Noch dachte kaum jemand an die dem deutschen Steinkohlebergbau durch andere Energieträger und billige Importkohle drohende Konkurrenz.

 

Ostern 2000

 

Hohe Arbeitslosigkeit und soziale Probleme - wenn auch anderer Art als in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts - sowie Sorgen um den Erhalt des Bergbaus, verbunden mit der Furcht vor dem Verlust der Arbeitsplätze und dem sozialen Abstieg, überschatten das Osterfest. Vielfältiger Einsatz für die Zukunft des Ortsteils gibt allerdings auch Mut zu neuer Hoffnung.