Kurze Geschichte Lohbergs - von Helmut Weinreich

Helmut Weinreich war damals Rektor der Hauptschule Glückauf, dieser Text entstand anläßlich des Stadtteilfestes 1989:

 

1) Die Anfänge

 

„Die Kohle und das Eisen setzen gegenwärtig viele Hände und Gemüter in Bewegung. Wo irgendein Hügel sich erhebt, vermutet und hofft man auf eines dieser Mineralien“ - so berichtete am 11. Oktober 1854 die Rhein-Ruhr-Zeitung, und erste Funde waren Gesprächsthema in Dinslakener Schankwirtschaften. Probebohrungen wurden durchgeführt, doch obwohl bis auf 300 Fuß Tiefe heruntergetrieben, fand man keine Bodenschätze. Die Hoffnung der Bevölkerung, durch den Mineralbergbau aus ihrer Armut heraus zu kommen, wurde zunächst enttäuscht.

 

Es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis die Kohle gefunden wird, es bedurfte eines völlig neuen Bohrverfahrens, und es kostete sehr viel Geld. Erst August Thyssen, der 1897 mit dem Bau eines Walzwerkes in Dinslaken begann, sah die wichtige Verbindung zwischen Stahl und Kohle und erwarb in den Jahren nach 1900 wesentlichen Feldbesitz der heutigen Schachtanlage (zusammen mit der Gewerkschaft „Deutscher Kaiser“). Am 30.12.1905 erfolgte die notarielle Bestätigung der „Gewerkschaft Lohberg“ für das „Grabenfeld Hiesfeld XXXII“, d. h. die unmittelbare Rechtsvorgängerin des heutigen Betriebes. Der Grundstückserwerb und Feldtausch (der übrigens erst 1927 abgeschlossen wurde) umfaßte nicht nur Raum für die eigentliche Schachtanlage, sondern er sah bereits die Fläche für zukünftige Siedlungen vor. Am 28. Mai 1906 wurde das Abteufen der Schächte Lohberg I und II beschlossen. Es wurde seinerzeit das neue Gefrierverfahren beim Abteufen angewandt; Lohberg I und II waren damals die tiefsten Gefrierschächte der Welt. Am 17.10.1910 (Schacht II) und am 11.11.1910 (Schacht I) erreichte man bei 481 m das Steinkohlegebirge. Bis zum Jahr 1913 wurde das Bergwerk bis maximal 771 m zur 3. Sohle weiter ausgebaut. Obwohl bereits 1912 die erste Kohle gefördert wurde (nur zum Selbstverbrauch) konnte die regelmäßige Förderung erst im Oktober 1913 beginnen (9309 t/Jahr).

 

2) Die Siedlung

 

In den Jahren 1910 - 1912 lagen auch die Anfänge der Entstehung der Siedlung Lohberg, die nach dem 1. Weltkrieg weitergeführt wurde. 1916 entstand das „Ledigenheim“ (heute u.a. Sparkasse), in dem mehr als 500 Mann untergebracht waren, gleichzeitig entstand das Kasino.

Das Gelände des heutigen Ortsteils Lohberg war um die Jahrhundertwende Feld- und Wiesenland. Nur wenige Wege kreuzten durch die Hecken und vereinzelt fanden sich kleine Katen und nur selten eine Fuhrmannsknelpe. Aus diesen Niederungen ragte nur eine kleine Erhebung empor, der Lohberg. Der Name Lohberg wird übrigens darauf zurückgeführt, daß der Berg mit Eichen bewachsen war, und mit deren Lohe (Rinde) die Gerberei, die „Lohgerberei“ betrieben wurde.

 

In den Jahrhunderten vorher war dieses Gelände stets recht unheimlich. Man erzählte sich von Räuberbanden, die dort hausten, und bis zum Jahre 1720 stand auf dem Lohberg der Galgen für die umliegenden Gemeinden. Zahlreiche Höfe verschwanden, als mit dem Bau der Siedlung begonnen wurde. Das alte Bild ländlicher Beschaulichkeit ist jedoch auch heute noch spürbar, wenn man Lohberg in Richtung Bruckhausen verläßt und dann ohne Übergang wieder mitten in Feldern und vor einem Bauernhof steht. Die Siedlung selbst wurde in sehr kurzer Bauzeit errichtet. Zunächst entstanden die Arbeiterwohnungen an der Hünxer Straße, Stollenstraße, Kasino-, Steiger-, Hauer- und obere Lohbergstraße in einem 1. Bauabschnitt. Eine dritte Ziegelei neben den bereits bestehenden lieferte die Ziegel für die Bautätigkeit an Ort und Stelle. Lehm kam aus dem Lohberg. Lohberg selbst gehörte damals zum größten Teil zur seinerzeit selbständigen Bürgermeisterei Hiesfeld. Erst 1917 kamen die Lohberger nach Dinslaken, was ihnen auch lieber war, da zwischen Dinslaken und Lohberg bereits seit drei Jahren eine Straßenbahn verkehrte. Die steigende Bevölkerungszahl machte auch Schulen und Kirchen notwendig: So wurde die erste Schulbaracke am 1. April 1912 am Johannesplatz aufgestellt, 1915 konnte dort ein fünfklassiger Neubau fertiggestellt werden.

 

Die katholischen Kinder bekamen am 1. April 1913 ihre Schulbaracke, später waren es sechs, in denen 18 Klassen unterrichtet wurden. Erst 1920 wurde der große Neubau der Marienschule fertiggestellt. Die katholischen Lohberger gehörten zunächst zur Gemeinde Hiesfeld, später wurden ihre Gottesdienste auch in der Lohnhalle abgehalten. Die selbständige Kirchengemeinde baute sich dann an der Kasinostraße eine hölzerne Notkirche, die bis 1932 genutzt wurde. Erst dann wurde die Marienkirche eingeweiht.

 

Ebenso wurde für die evangelische Gemeinde gesorgt; ihre Kirche wurde am Johannesmarkt errichtet und gleichzeitig mit einem modernen Kindergarten verbunden. Diese Gebäude wurden am 23. 3.1945 durch Bomben total zerstört. Das frühere NSV-Heim wurde dann als Kirche und Kindergarten hergerichtet.

Flurkarte von 1736
Flurkarte von 1736

 

3) Der 1. Weltkrieg und die anschließenden Krisenjahre 

 

Da während des 1. Weltkriegs wegen der Einberufung zum Heeresdienst Arbeitskräfte fehlten, wurden in diesen Jahren etwa 500 Kriegsgefangene untertage beschäftigt (Franzosen, Belgier, Engländer, Russen, Italiener und Portugiesen). Der Ausbau der Schachtanlage ging während dieser Zeit in gemäßigtem Tempo weiter. Nach dem Kriege übernahmen - wie in anderen Städten auch - im November 1918 die Soldaten- und Arbeiterräte die Macht, auch in den Industriebetrieben.

 

Dem folgte v.a. in Lohberg ein unruhiges Krisenjahr 1919: Die kommunistisch-spartakistische Partei strebte die Sozialisierung des Bergwerks an. Streiks und Demonstrationen waren an der Tagesordnung, wobei man offen Waffen trug. Sei den Wahlen am 19.1.1919 kam es zu Unruhen, wobei auch ein Arbeiter erschossen wurde. Weitere Streiks führten dazu, daß im April 1919 u.a. für Lohberg der militärische Belagerungszustand erklärt wurde und Truppen nach Dinslaken entsandt wurden.

 

Im März 1920 wurden die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch noch stärker. „Rotgardisten“, d. h. Spartakisten besetzten Dinslaken und es kam zu schweren Gefechten mit sog. „Noske“ - Soldaten. Die Rotgardisten besetzten seinerzeit das Schachtgelände und ermordeten Bergwerksdirektor Sebold. Am 9. November 1923 kam der Betrieb gänzlich zum Erliegen und wurde erst im Januar 1924 wieder geöffnet. In der weiteren Entwicklung wurde Dinslaken von Belgien besetzt, es herrscht weiterhin Not, noch verschärft durch die Inflation.

 

4) Das Dritte Reich und der 2. Weltkrieg

 

Auch in Dinslaken gewinnt die NSDAP Ende der 20-er, Anfang der 30-er Jahre verstärkt an Einfluß und an Wählerstimmen. Ohne die Verordneten der SPD und KPD, die offen verfolgt werden, tritt am 5. 4.1933 die neue Stadtverordnetenversammlung Dinslakens mit 13 „Braunen“ und 8 „Bürgerlichen“ Vertretern zusammen. Der Schacht Lohberg erlebt in den Jahren bis zum Ende das Krieges folgende Entwicklung: Betrug die Belegschaft im Jahre 1923 noch 3551 sank sie bis 1931 auf einen zwischenzeitlichen Tiefstand von 1111 Mann. Bis 1940 wurde sie wieder auf 2375 Mann erhöht, wobei die Förderung einen Höchststand von 1,29 Mio t, d.h. 2,75 t je Mann Schichtleistung erreichte (ein Wert an Schichtleistung, der erst 1965 wieder erreicht wurde).

 

Fördereinrichtungen und Streckenausbau wurden weiter modernisiert. Auch der bergmännische Nachwuchs wurde weiter intensiv gefördert. 1941 entstand ein Lehrrevier und eine Ausbildungsstrecke ergänzt durch eine Bergmännische Berufsschule in einem Flügel des Ledigenheimes.

Der 2. Weltkrieg wirkte sich stark auf den Grubenbetrieb aus. Die Belegschaft nahm stark ab, die Förderung ging zurück. Unter den Bomben wurde ein Drittel der Siedlung Lohberg zerstört, und auch die Schachtanlage wurde schwer beschädigt. Noch im März 1945 legte ein schwerer Bombenangriff die Schachtanlage für 18 Tage still.

 

5) Die Nachkriegszeit

 

Die Jahre nach 1945 waren geprägt vom Wiederaufbau. Dies galt sowohl für die Siedlung Lohberg als auch für die Schachtanlage. Von einem Tiefstand im Jahre 1945 schaffte man doch bereits 5 Jahre später eine 1,5 Mio t Förderung, was ein Rekordergebnis bis dahin bedeutete. Es ging aufwärts! Die Kohle war der entscheidende Faktor des Wiederaufbaus im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Weitere Rekordzahlen: Der Schacht Lohberg beschäftigt 1950 bereits über 4000 Mann, seine Gesamtbelegschaft wächst bis 1965 auf über 5000 an!

 

Die alte Zechensiedlung wird zu klein, entscheidende Umstrukturierungen gehen in den 60-er Jahren vor sich. Zunächst werden Wohnungen gebraucht. Es entsteht südlich des „alten“ Lohbergs ein Neubaugebiet entlang der Knappen- und Haldenstraße und an der Dorotheenstraße. Gleichzeitig strömen neue Einwohner nach Lohberg. Die Einwanderung der Gastarbeiter aus südeuropäischen Ländern setzt ein: Italiener, Griechen, Jugoslawen, Spanier und schon bald Türken. Erst kommen die Männer, dann die Familien. Erst kommen sie „freiwillig“, dann werden sie angeworben. Eine soziale Binnenwanderung innerhalb Lohbergs setzt ein: Türkische Familien ziehen in die inzwischen sanierungsbedürftige Altbebauung ein, deutsche Familien verziehen in die Neubauwohnungen.

 

Eine neue Schule entsteht: 1967 wird die Glückaufschule eingeweiht, 1968 wird sie im Rahmen der Schulreform Hauptschule, während Marien- und Johannesschule Grundschulen werden.

 

Die Kohlekrise der 60er Jahre übersteht der Schacht Lohberg gut: 1970 wird er in den neu gegründeten Zechenverband Ruhrkohle AG eingegliedert. Die Bevölkerung lernt, mit verschiedenen Nationalitäten zu leben; nicht leicht, nicht ohne Konflikte, dennoch wächst das gegenseitige Verständnis. Türkische Vereine, Moscheen entstehen und ergänzen das kulturelle Bild des Ortsteils.

 

Eine breite Sanierung der Häuser der Altbebauung läßt Lohberg inzwischen wieder freundlicher erscheinen. Trotz vieler ungelöster Probleme ist auch heute, Ende der 80er Jahre, Lohberg ein wesentlicher, ein prägender Stadtteil Dinslakens. Für die nächsten Jahre ist es die Aufgabe aller Verantwortlichen aber auch aller Einwohner Lohbergs, dafür Sorge.zu tragen, daß Lohberg eine lange, selbstbewußte, arbeitssame und friedliche Zukunft interkultureller Prägung haben wird.

 

Quellen:

  • Stampfuß, Triller, Geschichte der Stadt Dinslaken, von 1273 - 1973, Neustadt/Aisch 1973
  • Gollnick, Dinslaken, Boss-Verlag Kleve, 1980
  • Dr. F. Scheffler, 40 Jahre Schacht Lohberg, in Sonderdruck der Werkszeitschrift der Gelsenkirchener Bergwerke AG, S. 1 - 5
  • Willy Dittgen, vom Wiesengrund zur Bergmannssiedlung, in Sonderdruck der Werkszeitschrift der Gelsenkirchener Bergwerks AG, S. 6 - 9